Schenken wird oft als Quelle des Glücks betrachtet. Doch wenn die Reaktion des Beschenkten nicht der erwarteten Freude entspricht, könnte diese Annahme in Frage gestellt werden. Denn die Art und Weise, wie Menschen Geschenke empfangen, variiert stark. Es gibt solche, die das ganze Jahr über aufmerksam sind, immer auf der Suche nach dem perfekten Geschenk, das sie liebevoll verpacken und mit Vorfreude überreichen. Auf der anderen Seite gibt es auch diejenigen, die Schenken eher ablehnen, weil ihnen oft keine passenden Geschenke einfallen und sie sich beim Erhalt von Geschenken unwohl fühlen.
Reaktionen auf Geschenke spiegeln oft die Bindungsmuster aus der Kindheit wider
Hinter diesen unterschiedlichen Verhaltensweisen und Einstellungen stecken psychologische Mechanismen, die häufig in den Bindungserfahrungen unserer Kindheit verankert sind. Dr. Julia Zwank, Professorin für Entwicklungs- und Wirtschaftspsychologie an der SRH Fernhochschule, beschäftigt sich intensiv mit diesen Themen. Sie erläutert, was die Reaktionen auf Geschenke über den Beschenkten aussagen und gibt Hinweise, wie man auf Geschenke – unabhängig vom Inhalt – am besten reagieren kann.
Bindungserfahrungen prägen unsere heutigen Beziehungen
Laut Zwank wird die Art und Weise, wie wir heute Beziehungen führen, maßgeblich durch unsere Kindheit beeinflusst. Ein wichtiger Faktor sei, wie unsere Bezugspersonen auf unsere Bedürfnisse reagiert haben. Diese frühen Erfahrungen prägen unser späteres Verhalten und beeinflussen, wie wir Nähe, Liebe und Geschenke annehmen können.
Vier Bindungsstile: Von Sicherheit bis Verlustangst
Zwank unterscheidet vier Bindungsstile. Der erste ist der unsicher-vermeidende Typ. Er könnte zum Beispiel sagen: „Das war doch nicht nötig!“ Zwank erläutert: „Menschen mit diesem Bindungsstil haben in ihrer Kindheit oft emotionale Zurückweisung erfahren. Um sich zu schützen, unterdrückten sie ihre Bedürfnisse. Im Erwachsenenalter meiden sie enge Bindungen und wirken oftmals pseudounabhängig. Geschenke anzunehmen kann für sie unangenehm sein, da es ihre Unsicherheiten aufruft – sie könnten denken: „Das ist nett, aber ich brauche nichts. Gib das Geld lieber anderweitig aus.“
Der zweite Typ ist der unsicher-ambivalente Typ, der häufig fragt: „Habe ich genug für dich getan?“ Hier spielt die Angst vor Zurückweisung eine zentrale Rolle. Diese Personen erlebten in der Kindheit eine instabile Beziehung zu ihren Bezugspersonen, die mal verfügbar waren, mal nicht. In Beziehungen sind sie oft unsicher, was sich auch beim Schenken zeigt: Sie fühlen sich überfordert, weil sie glauben, nicht genug zurückzugeben, und machen sich Sorgen, den anderen enttäuscht zu haben.
Der dritte Bindungsstil ist der unsicher-desorganisierte Typ, der auf Geschenke oft mit einem unsicheren „Für mich? Das ist lieb, aber…“ reagiert. Dieses Muster tritt häufig bei Menschen auf, die in ihrer Kindheit Vernachlässigung oder Missbrauch erfahren haben. Sie sehnen sich nach Nähe, haben jedoch auch Angst davor. Ihre Reaktionen auf Geschenke spiegeln diese Ambivalenz wider: Zuerst ist da Freude („Das ist so aufmerksam!“), doch dann folgt der Rückzug („Das brauche ich nicht, gib es zurück.“).
Am wenigsten problematisch ist es für Menschen mit dem vierten Bindungsstil, dem sicher gebundenen Typ. Sie zeigen sich in der Regel dankbar, etwa mit den Worten: „Danke, das bedeutet mir viel.“ Laut Zwank hatten diese Menschen in ihrer Kindheit stabile und verlässliche Bezugspersonen. Sie fühlen sich sicher und können enge Beziehungen pflegen. Geschenke nehmen sie dankbar an und sind in der Lage, die Geste zu schätzen.
Geschenke als Gelegenheit zur Selbstreflexion
Es ist natürlich nicht einfach, tief verwurzelte Unsicherheiten oder Ablehnungen der Vergangenheit schnell zu überwinden. Doch Geschenke bieten einen guten Ansatzpunkt, um diese alten Muster zu hinterfragen. Versuchen Sie doch einmal in der kommenden Weihnachtszeit, beim Erhalt eines Geschenks auf das „Das war nicht nötig“ zu verzichten. Anstatt sich mit einem „Das ist wirklich nicht nötig gewesen“ zu wehren, erkennen Sie an: Es war notwendig, weil es jemanden gibt, der an Sie denkt und Ihnen eine Freude machen möchte – ganz ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Für manche Menschen sind Sie vielleicht sogar das größte Geschenk.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude beim Schenken und Beschenktwerden. Frohe Weihnachten!
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung von idw – Informationsdienst Wissenschaft/ Veröffentlicht am 18.12.2024